08.02.2022 | 8 Minuten

Sekundenschlaf: häufig unterschätztes Unfallrisiko

Ein langer Arbeitstag neigt sich dem Ende zu. Du steigst erschöpft in dein Auto ein, startest den Motor und fährst los. Die vergangene Nacht hast du wieder nicht besonders gut geschlafen. Erholt aufzuwachen fühlt sich jedenfalls anders an. Umso mehr freust du dich jetzt auf einen entspannten Abend zu Hause und vor allem – auf dein Bett. Es ist ein Schreckmoment! Die Übermüdung hat plötzlich Oberhand gewonnen. Du bist für einen Bruchteil von Sekunden eingenickt. Es fehlen die Erinnerungen an die letzten gefahrenen Kilometer. Dein erster Gedanke: „Noch mal Glück gehabt“…

Das Phänomen „Sekundenschlaf“ bezeichnet das unbeabsichtigte Einschlafen für wenige Sekunden bei monotonen Tätigkeiten – oft beim Autofahren. Dabei wird die Gehirnaktivität für einen kurzen Augenblick heruntergefahren. Der Körper befindet sich in einem Standby-Modus und das Fahrzeug legt mehrere Meter fahrerlos zurück: ein Albtraum für jeden Verkehrsteilnehmer.

Bei Unachtsamkeit zurückgelegte Wegstrecke in Meter bei 100 km/h

Trotz ersten Anzeichen von Übermüdung überschätzen viele Autofahrer ihre Fähigkeiten und fahren weiter. In diesem Zustand ein Fahrzeug zu führen, ist ein potenziell tödliches Glücksspiel. Untersuchungen haben gezeigt, dass wir grundsätzlich nicht in der Lage sind, verlässlich einzuschätzen, wann genau wir einschlafen. Tatsächlich geschehen viele Verkehrsunfälle im Zusammenhang mit Sekundenschlaf kurz vor dem Ziel. Die Wachsamkeit lässt nach. Und das kann fatal ausgehen. Schätzungen des Deutschen Verkehrssicherheitrates zufolge ist jeder vierte tödliche Verkehrsunfall in Deutschland durch kurzes Einnicken verursacht. Der berüchtigte Sekundenschlaf ist also keine Seltenheit.

Sekundenschlaf: Was sind die häufigsten Ursachen?

1. Schlafstörungen

Umfrageergebnisse zeigen: Circa 25% der Erwachsenen leiden an Schlafstörungen. Über 10% empfinden ihren Schlaf häufig oder dauerhaft als nicht erholsam. (vgl. Robert Koch-Institut: Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Schlafstörungen, Heft 27, Oktober 2005). Bei diesen Menschen ist die Erholungsfunktion des Schlafs gestört. Einschlaf- oder Durchschlafprobleme sowie vorzeitiges Erwachen führen zur übermäßigen Tagesschläfrigkeit und können Einschlafen am Steuer verursachen. Grundsätzlich gilt: Wer schlecht schläft und sich tagsüber erschöpft, unkonzentriert und nicht erholt fühlt, sollte sich nicht ans Steuer setzen. Halten die Schlafprobleme länger an oder kommen sogar andere Symptome hinzu, sollte man ärztlichen Rat aufsuchen.

Mann mit Schlafproblemen sitzt im Bett

2. Zu wenig Schlaf

Wer über Tage oder Wochen zu wenig schläft, hat auf Dauer mit körperlichen Folgen zu kämpfen. Konzentrationsprobleme und verminderte Aufmerksamkeit sind unter anderem die Folge. Bereits ein Tag ohne ausreichend Schlaf wirkt sich auf die Reaktionsfähigkeit aus. Studien der Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) belegen: 17 Stunden ohne Schlaf schränkt genauso die Fahrtauglichkeit ein wie 0,5 Promille, 22 Stunden ohne Schlaf wie 1,0 Promille Alkohol im Blut.

3. Lange Autofahrten ohne Pause

Besonders anfällig für Sekundenschlaf ist man bei langen und auch monotonen Strecken, wie auf der Autobahn. Einer Umfrage des Onlineportals AutoScout24 zufolge fuhr jeder schon mal fünf Stunden pausenlos. Jeder zehnte saß sogar über neun Stunden nonstop hinter dem Lenkrad. Doch Fachleute empfehlen bei längeren Fahrten regelmäßig Pausen einzulegen – mindestens jede zwei Stunden – um Übermüdung und Schläfrigkeit zu vermeiden.

4. Der Bio-Rhythmus

Unser Schlaf orientiert sich an dem Tag-Nacht-Rhythmus. So ist die Nacht optimal für Schlaf sowie Erholung und der Tag für Leistung. Abrupter Zeitzonenwechsel (Jetlag) oder Schichtarbeit können die innere Uhr auf den Kopf stellen. Gerät der Schlafrhythmus aus den Fugen, ist ein ungewolltes Einschlafen zum falschen Zeitpunkt, wie zum Beispiel beim Autofahren, die logische Konsequenz.

5. Einnahme von Medikamenten

Arzneimittel können das Eintreten von Sekundenschlaf begünstigen. Experten gehen davon aus, dass 15 bis 20 % aller Medikamente die Fahrleistung negativ beeinflussen und die Reaktionsfähigkeit verlangsamen.

Der Körper schlägt Alarm: Erste Anzeichen für Schläfrigkeit

  1. Exzessives Blinzeln oder schwere Augenlider

  2. Verschwommenes Sehen

  3. Schwierigkeiten sich zu fokussieren

  4. Permanentes Gähnen

  5. Gesteigerte Reizbarkeit

  6. Nervosität

  7. Frösteln und Zittern

  8. Wandernde Gedanken

  9. Gedächtnislücken von den letzten Fahrtminuten

  10. Unaufmerksamkeit während der Fahrt, wie Abkommen von der Fahrbahn, Verpassen der Ausfahrt, Spurwechsel ohne Blinken und Co.

Was tun gegen akute Müdigkeit am Steuer?

Schlafen: Das einzige wirksame Mittel. Bereits 20 Minuten reichen aus. Ein Power-Napping ist effizienter als Koffein, laute Musik, oder das geöffnete Autofenster. Diese „Hilfsmittel“ können Sekundenschlaf nicht verhindern. Also, wenn du ein Aufkommen von Schläfrigkeit erkennst, halte dringend an einer Raststätte an. Die Türen solltest du zur Sicherheit verschließen. Mache eine Schlafpause und ruhe dich aus, bevor du weiterfährst.

Müde Frau schläft auf Kissen im Auto

Zum Erwachen nutze einfach den Wecker deines Smartphones. Nach dem kurzen Nickerchen kannst du dich an der frischen Luft bewegen und ein paar Schritte laufen, um deinen Kreislauf in Schwung zu bringen. In Kombination mit dem Kurzschlaf kannst du dir ein koffeinhaltiges Getränk gönnen. Wichtig: Koffein allein reicht nicht aus, um dem Sekundenschlaf entgegenzuwirken. Fühlst du dich jetzt fitter? Nun kannst du deine Fahrt fortsetzten.

Straßenverkehrsgefährdung aufgrund von Übermüdung

Das sagt die Rechtssprechung: „…ein strafrechtlich erheblicher Vorwurf (kann) einem genügend ausgeruhten Kraftfahrer aus seinem Einnicken am Steuer nur gemacht werden, wenn sich bei ihm Ermüdungserscheinungen und nachlassende Konzentrationsfähigkeit bereits vorher bemerkbar machten. Nach neueren Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft gebe es aber kein plötzliches Einschlafen, das als unvorhersehbares Ereignis angesprochen werden könnte. Es kündige sich durch Ermüdungserscheinungen an...“ (BGH, Beschluss vom 18.11.1969 - 4 StR 66/69)

Ein Sekundenschlaf tritt also nicht unangekündigt auf. Dem Fahrer muss vor Fahrtantritt bereits bewusst gewesen sein, dass er übermüdet ist und die Gefahr des Einschlafens besteht: „Es ist ein solcher Übermüdungszustand zu verlangen, welcher für den Beschuldigten die erkennbare Erwartung eines nahen Sekundenschlafs mit sich bringt, das heißt, der Fahrer bei sorgfältiger Selbstbeobachtung die Übermüdung bemerkt hätte, oder mit ihrem Eintritt hätte rechnen müssen.“ (LG Leipzig, Beschluss vom 6.4.2020 – 6 Qs 22/20)

Wer erste Anzeichen von Übermüdung bewusst missachtet und dadurch den Straßenverkehr gefährdet, verhält sich fahrlässig. Eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe können die strafrechtliche Konsequenz sein. Dies ist in §315c Strafgesetzbuch (StGB) unter „Gefährdung des Straßenverkehrs“ geregelt. Bei Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren besteht die Möglichkeit, diese zur Bewährung auszusetzen. Zudem wird in solchen Fällen die Fahrerlaubnis entzogen.

Kommt die Versicherung für Unfallschäden aufgrund von Sekundenschlaf auf?

  • Kaskoversicherung: In der Vergangenheit spielte die Frage der groben Fahrlässigkeit eine Rolle, wenn ein Sekundenschlaf als Unfallursache im Raum stand. Hat der Autofahrer grob fahrlässig gehandelt, war der Versicherer leistungsfrei. Grobe Fahrlässigkeit heißt in diesem Fall: Der Unfallverursacher hat das Entstehen eines Schadens in Kauf genommen, indem er erste Warnzeichen seines Körpers, wie zum Beispiel Konzentrationsschwäche, bewusst ignoriert hat. Inzwischen verzichten viele Versicherer auf den Einwand der groben Fahrlässigkeit und regulieren entsprechende Schäden. So auch Janitos gemäß der Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung.

  • Die Kfz-Haftpflichtversicherung ist dafür gedacht, mögliche Unfallopfer vor finanziellen Schäden zu schützen. Gegenüber dem Geschädigten muss der Versicherer schon aus gesetzlichen Gründen leisten. Der Geschädigte eines Verkehrsunfalls hat gegen den Kraftfahrt-Haftpflichtversicherer einen sogenannten „Direktanspruch“. Das heißt, der Geschädigte kann sich direkt an den Versicherer des Schädigers wenden, ohne dass ein Einschalten des Versicherungsnehmers (Schädigers) nötig ist. Dies ist gesetzlich so geregelt, § 115 Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Der Versicherer muss auch derartige Schäden regulieren, die aufgrund grober Fahrlässigkeit entstanden sind. Was ist aber in diesen Fällen mit dem Verhältnis zum Versicherungsnehmer?

Kann der Versicherer den regulierten Betrag vom Versicherungsnehmer zurückfordern?

Unter bestimmten Voraussetzungen kann der Versicherer den Versicherungsnehmer in Regress nehmen. Das heißt, der Versicherer kann sich Geld vom Versicherungsnehmer zurückholen, allerdings betragsmäßig bis zu 5.000 Euro begrenzt. Gründe dafür wären zum Beispiel Trunkenheit oder Fahruntüchtigkeit aufgrund von Drogen oder Medikamenten. Übermüdung/Müdigkeit zählt nicht dazu. Insofern kann hier eine Rückforderung nicht erfolgen.

Kraftfahrzeug-Versicherung

Autor dieses Artikels:

Karina Todorova

Bloggt über umweltbewusstes Leben, Lifehacks für den Alltag und gesundheitliche Themen.

Autor dieses Artikels:

Ingeborg Hill

Inge ist im Bereich Schadencontrolling tätig und verfügt über langjährige Erfahrung in der operativen Schadenbearbeitung.